Eine Schenkung für die Stadt Strausberg, die an der Stelle des zerstörten Hauses meiner Vorfahren aufgestellt werden soll.
A gift for the town of Strausberg, to be placed on the site of my ancestors destroyed home.
Historischer Stadtrundgang - Nr.1, Strausberg
Sie stehen in diesem Moment vor dem Gebäude in der Großen Straße Nr. 73 und betrachten womöglich die Auslagen des hier befindlichen Geschäftes. Nichts lässt darauf schließen, dass an dieser Stelle ein anderes Wohn- und Geschäftshaus stand, das bis 1939 der jüdischen Familie Levy gehörte und von den Nazis beschlagnahmt und abgerissen wurde.
Dies ist die Geschichte des Hauses der Familie Levy in Strausberg. Sie ist vor allem eng verknüpft mit dem Schicksal der Levys, die hier bis 1939 ihr Zuhause hatten und hier auch ein eigenes Textilgeschäft betrieben.
Zu dem Anwesen, das seit den 1860er Jahren der Großfamilie Levy gehörte, zählte ein 300 Quadratmeter großes Gebäude mit einem Geschäft, einem Wohnhaus und einem Hinterhof.
Seit 1886 wohnte und arbeitete hier Albert Levy, als Bekleidungs- und Textilverkäufer, Auktionator und aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde tätig, gemeinsam mit seiner Ehefrau Helene Levy, geborene Hartwich.
1892 wurden Tochter Friederike Franziska und 1901 Sohn Georg geboren, beide wuchsen in Strausberg auf. Albert Levy verkaufte erfolgreich Textilwaren, Unterwäsche, Strickwaren und Arbeitsbekleidung. Das gesamte Leben der Familie Levy sollte sich mit der „Arisierung“ des Geschäftes samt Haus und Grundstück durch die Nazis 1939 ändern.
Ewald Reimann, Besitzer der Buch-, Papier- und Musikalienhandlung in der Großen Straße 16, aber auch Mitglied der NSDAP, der den örtlichen Vertrieb der Nazi-Zeitung leitete und im Auftrag der Gestapo agierte, eignete sich den Besitz 1939 an und ließ alle darauf befindlichen Gebäude abreißen. In einem Schreiben an das Katasteramt Strausberg teilte Reimann im Februar 1940 mit, dass „Wohnhaus mit Seitenflügel und zwei Stallgebäuden im September/Oktober 1939 abgerissen wurden."
Aus dem Kaufvertrag von 1939 im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, in den Grundakten zum Grundstück Große Str. 73 wird deutlich, welche Rolle nicht nur Reimann, sondern auch die Stadt Strausberg beim Grundstücksgeschäft gespielt hatten. Neben einem Trennstück zur Verbreiterung der Grünstraße „erwarb" die Stadt auch Grundbesitz der Levys in einer Hauskavel von 14.170 qm.
Nach der so genannten Arisierung des Hauses und Geschäftes 1939 zog das Ehepaar Levy in das ehemalige Altersheim, in die 2. Altersversorgungsanstalt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Helene Levy verstarb am 09. Mai 1940 in der Heil- und Pflegeanstalt Buch. Aus der Anmeldung für Helenes Beerdigung geht hervor, dass die Stadt Strausberg 5000,00 Mark „aus dem Entzogenen“, d.h. aus dem Kaufpreis an das Büro des Altersheimes für die Eheleute Levy gezahlt hatte.
Albert Levy, 82-jährig, wurde im August 1942 nach Auflösung des Pflegeheimes, gemeinsam fast allen Bewohnern, von Berlin mit dem ersten »großen Alterstransport« ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Am 26.09.1942 wurde Albert Levy vom Ghetto Theresienstadt ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.
Georg Levy lebte bis zur Enteignung der Familie ebenfalls in der Großen Straße 73 in Strausberg, ab Juli 1939 in der Kantstraße 159, Berlin-Charlottenburg. Er wurde am 11. Juli 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Friederike, Franziska, verheiratet mit David Schumacher, lebte mit ihrem Mann und der Tochter Ruth in Berlin, in der Schulstraße 78. Innerhalb der sogenannten Polen - Aktion 1938 wurde erst David, anschließend sie selbst nach Sieradz im Warthegau abgeschoben. Gemeinsam mit ihrem Mann wurde sie 1943 deportiert und in Chelmno ermordet.
Zum Gedenken wurden vor dem Haus Große Straße 73 Stolpersteine für Albert, Helene und Georg Levy sowie Friederike, Franziska Schumacher verlegt. 1946 wurde Ewald Reimann von der Polizei verfolgt, floh jedoch nach Westdeutschland.
Schon im Herbst 1945 wurden die Vermögenswerte Reimanns auf Grundlage des Befehls der SMAD Nr. 124 beschlagnahmt und im Herbst 1948 auf Grundlage des Befehls Nr. 64 der SMAD enteignet.
Das Eigentum der Familie Levy galt als öffentliches und wurde 1949 von der Stadtverwaltung an das Land Brandenburg übertragen. Später, in der Zeit der DDR, wurde das Grundstück wieder bebaut. Heute befindet sich an der Stelle des ehemaligen Geschäftes und Wohnhauses ein einstöckiges Gebäude mit Ladenfront und Bistro.
Das damals beschlagnahmte Eigentum der Familie Levy in der Großen Str. 73 ist in der Liste der in der ehemaligen DDR befindlichen Vermögenswerte der Claims Conference unter der Nummer 21853 registriert, die zurückgewonnen wurden und deren Abwicklung nach dem deutschen Vermögensrückstellungsgesetz noch anhängig ist.
Geschrieben von Ben Wood und Sabine Franke anlässlich der Stolpersteinverlegung für Helene Levy am 11. März 2024
Ben Wood Studio Copyright © Ben Wood All rights reserved.
We use cookies to analyze website traffic and optimize your website experience. By accepting our use of cookies, your data will be aggregated with all other user data.